Der Terrorkrieg in Syrien ist so schrecklich, und er erzeugt so unermesslich größere Gefahren, dass alle Menschen guten Geistes dagegen aufstehen müssen.
Seit dem 13. Oktober 2016 gibt es einen internationalen, vom amerikanischen Friedensrat ausgehenden Appell „Hände weg von Syrien!„ der das Not-Wendige feststellt und das Not-Wendige fordert.
Not-Wendig ist die Feststellung zumindest dieser Tatsachen:
Not-Wendig ist die Durchsetzung zumindest dieser Forderungen:
Hier kann der Appell unterzeichnet werden. Die deutschen Freidenker unterstützen den Appell „Hände weg von Syrien“ mit aller Konsequenz.
Zu dieser Konsequenz gehört, dass der Kampf gegen die in Syrien im Auftrag der USA, NATO und ihrer Verbündeten wütenden Terroristen, solange Verhandlungen, Waffenstillstände, Feuerpausen erfolglos sind, mit militärischen Mitteln bis zu ihrer Kampfunfähigkeit geführt werden muss.
In der Friedensbewegung gibt es weitere Erklärungen und Appelle gegen den Syrienkrieg. So ist auf die sorgfältig argumentierende Erklärung der deutschen Freidenker und des Bundesverbandes Arbeiterfotografie vom 7.10. 2016 zu verweisen, die als konkrete Forderungen an die Bundesregierung formuliert:
Den Einsatz für eine Waffenruhe, die nicht den Terrorgruppen zugutekommt, sondern deren Unterstützung beendet;
Die Einstellung der Rüstungsexporte in den Nahen Osten sowie die Beendigung des Aushungerns des syrischen Volkes durch Aufhebung des Embargos;
Die Abkehr von der westlichen „RegimeChange“-Politik, die Beendigung des Bundeswehr-Einsatzes und die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zur rechtmäßigen syrischen Regierung;
Das Recht des syrischen Volkes zu achten, seine Führung selbst zu wählen und selbst über seine Zukunft zu entscheiden;
Zusammenarbeit statt Konfrontation mit Russland.
Seit dem 31.8.2016 wird für die Kampagne „Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien“ geworben, die von einer Gruppe namhafter deutscher Friedensorganisationen getragen wird. Die Kampagne fordert von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
Keine Verlängerung des Bundeswehrmandats für Syrien
Friedensprozess unter UN-Verantwortung stärken – Zivilgesellschaft einbeziehen
Humanitäre Hilfe aufstocken – Zivile Konfliktbearbeitung ausbauen
Zu Recht wendet sich diese Kampagne gegen die Fortsetzung und Ausweitung der Beteiligung der BRD am Krieg gegen Syrien. Die zweite Stoßrichtung – Einbeziehung der Zivilgesellschaft und Ausbau der zivilen Konfliktbearbeitung – blendet leider die Frage völlig aus, ob die für den Erfolg dieses Weges unverzichtbaren Voraussetzungen und Bedingungen vorhanden sind bzw. wie sie geschaffen werden können. Die Frage, wie mit terroristischen bewaffneten Kräften der zivilgesellschaftliche Dialog geführt werden soll, während diese verhandlungswillige Geiseln erschießen, diese praktische Frage des Syrienkrieges wird ignoriert. Statt das Recht der Angegriffenen auf Notwehr auch mittels militärischer Gewalt anzuerkennen, beschränken sich die Friedensaktiven dieser Kampagne faktisch darauf, dem Wüten der Terroristen rhetorische Vorschläge entgegen zu stellen.
Seit dem 19. 10. 2016 wird ein 6-Punkte-Vorschlag des „International Peace Bureau“ (IPB, Ko-Präsident Reiner Braun, Geschäftsführer von IALANA) verbreitet. Er beansprucht nicht, eine erschöpfende Strategie zu sein, will aber eine Orientierung für die internationale Zivilgesellschaft vor allem in den westlichen Ländern bieten. Volltext des 6-Punkte-Vorschlags hier. Mir ist bisher keine offizielle deutsche Übersetzung bekannt.
Der IPB-Text enthält keine Verurteilung der Regime-Change-Politik der USA, NATO und ihrer Verbündeten als die andauernde Ursache des Syrienkrieges. Dagegen heisst es dort: „Das bedeutet, dass Luftangriffe von allen Seiten beendet werden müssen und die Zerstörung von Menschen und Städten unterbunden werden muss. Krankenhäuser und Schulen anzugreifen ist ein Kriegsverbrechen. Gerade jetzt in Aleppo scheinen die Hauptschuldigen das Assad-Regime und Russland zu sein.“ Zugleich wird eingeräumt, dass auch die USA eine lange Liste von Luftangriffen auf die Zivilbevölkerung haben.
Das IPB nimmt in dem Moment zum Syrienkrieg Stellung, in dem die Niederlage der USA-Seite samt der terroristischen Kräfte auf dem Boden absehbar ist. Es orientiert auf die Abkehr von der bisher angestrebten „terroristischen Lösung“ und auf eine beschleunigte politische Lösung, noch bevor die syrischen Streitkräfte einen vollen Sieg errungen haben („our aim is not to leave the field open to the Government forces“). In diesem Zusammenhang werden völlig richtige, seit langem überfällige Wünsche geäußert, z. B. die USA mögen sicherstellen, dass die kriegseskalierende Politik einiger Golfstaaten gestoppt wird. Die USA und ihre westlichen Verbündeten müssten eigene Menschen- und Völkerrechtsverletzungen eingestehen, weil sie nur so die moralische Glaubwürdigkeit erlangen können, Iran und Russland von der Waffenhilfe für die syrische Regierung abzuhalten („Only then will they have the credibility to urge Iran and Russia to end their own arming of the Syrian regime.„)
IPB orientiert auf die große, große, riesengroße zivilgesellschaftliche Lösung („the Syrian regime; civil society inside Syria including nonviolent activists, women, young people, internally displaced, and refugees forced to flee Syria (Syrian, Iraqi, and Palestinian); the Syrian Kurds, Christians, Druze, and other minorities as well as Sunnis, Shi’a, and Alawites; the armed rebels; the external opposition and the regional and global players – the US, Russia, European Union, Iran, Saudi Arabia, the UAE, Qatar, Turkey, Jordan, Lebanon and beyond“), ohne aber auszusprechen, dass russisch-syrische Schritte in diese Richtung bisher immer von der westlichen Kriegspartei verhindert wurden. Auf diese Rhetorik trifft weitgehend dasselbe zu, was ich oben zu den Vorschlägen der Kampagne „Macht Frieden“ bemerkt habe.
IPB stellt fest, dass auch Russland geostrategische Interessen habe und behauptet, dass Russland nicht als uneigennütziger Friedenspromotor betrachtet werden könne („But Russia too has civilian blood on its hands and cannot be regarded as a disinterested peace promoter.„) IPB nimmt Äquidistanz zwischen den Aggressoren der US-Seite und der syrischen Regierung und ihren Verbündeten ein und behauptet, das sei eine Friedensposition.
Zum IPB-Text gehören weitere Vorschläge, die sich auf den Kampf gegen ISIS beziehen, inbesondere um seine Finanzierung zu unterbinden, sowie auf humanitäre und Flüchtlingsfragen. Die Überprüfung der Sanktionen gegen Syrien wird verlangt, nicht aber ihre bedingungslose Beendigung, nicht ihre Verurteilung als aggressive Akte und nicht die Wiedergutmachung der damit Syrien zugefügten Schäden („We also call for a review of all sanctions against Syria, some of which tend to penalise the civilian population“).
Ich meine, dass der IPB-Text zahlreiche diskussionswürdige Probleme aufgreift. Sein Grundansatz besteht darin, den Syrienkrieg, den die USA mit ihren Verbündeten verlieren, möglichst schnell zu beenden, statt in dieser Situation auf eine neue massive Eskalation zu setzen. Das Ziel des Regime-Changes soll mit politischen Mitteln erreicht werden, einschließlich aggressiver Akte unterhalb des Militärischen.
Ich befürchte, dass die IPB-Stellungnahme dahingehend wirkt, die Friedensbewegung zu desorientieren und von Aktionen radikaler völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Parteilichkeit abzuhalten, ggf. auch zu spalten. Zeitpunkt und Form könnten die internationale Wirkung des eingangs dokumentierten Appells „Hände weg von Syrien“ unterlaufen. Daher lehne ich, Berliner Freidenker, die Grundlinie dieser IPB-Stellungnahme ab.
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[…] hier) oder den Bund für soziale Verteidigung. Und es scheint mir eine berechtigte Frage, wer das IPB dieser Tage befähigt hat, einige Vorschläge zu Syrien zu formulieren, die sozusagen […]
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[…] Hier ein immer noch aktueller Diskussionsbeitrag der Freidenker. […]
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