Landesverband Berlin im
Deutschen Freidenker-Verband e.V.

Transparenz und transparency

Sonntag, 29. Januar 2017 von Webredaktion

Der folgende Beitrag erschien zuerst auf opablog. Er gehört aber sehr wohl auch hierher, denn er führt einen wichtigen Gedanken aus unserem Offenen  Brief fort.

Transparenz und transparency sind zwei Paar Schuhe.

Transparenz brauchen wir, wie die Luft zum atmen.

Wir wollen von unserer Sache überzeugen? Also müssen die Menschen unsere Sache rundherum beäugen dürfen. Wir wollen mit unseren Vereinen und Organisationen überzeugen? Also müssen die Menschen unsere Vereine und Organisationen auf Herz und Nieren prüfen dürfen. Und zwar, BEVOR sie sich dafür entschieden haben.

Wie willst du etwas prüfen, wenn du nicht hineinschauen darfst?

Für Lenin war das völlig klar: „Nach unseren Begriffen ist es die Bewußtheit der Massen, die den Staat stark macht. Er ist dann stark, wenn die Massen alles wissen, über alles urteilen können und alles bewußt tun.“ (8. November 1917, „Schlusswort zur Rede über den Frieden“, Werke, Band 26, Berlin 1961, S.246)

Mit der Privatisierung der Informationen fing alles an – Verzögern, Verschweigen, Halbwahrheiten – Stalin, bereits 1923. Die Privatisierung der Macht brauchte viele mühsame Schritte und harte Schnitte in Lenins Land der großen Revolution. Aber 1938 war sie vollendet. Die Privatisierung der Ökonomie war der letzte Stein aus dem Fundament. Auch er leider folgerichtig. Im Jahr 1991 war beendet, was 1923/24 begann.

Es war nicht nur Ironie der Geschichte, dass der Untergang von der Phrase „Glasnost“ (= „Transparenz“) begleitet wurde. Ein letztes Mal wurde mit dem Sehnen der Menschen gespielt. Als ob ein Führer (noch dazu ein überforderter) Glasnost verordnen könnte!

Transparenz entsteht einzig und allein dadurch, dass die Menschen auf der untersten Ebene offen zueinander sind, dass sie voreinander nichts zu verbergen haben und dass sie ihre Genossinnen und Genossen, die zeitweilig nicht auf der untersten Ebene sind (weil mensch sie zeitweilig zu Vorsitzenden/FührerInnen machte) zu genau derselben Offenheit zwingen.

An dieser Stelle kommt der „sicherheitsbewusste“ Einwand: „Um Gottes Willen! Damit liefern wir doch den Geheimdiensten alles auf dem Präsentierteller!“ Ja, so lebensfremd, geradezu „entwirklicht von heutiger Zeit“, denken Apparatschiks.

Eingeräumt sei, dass es zufälliges Internes geben kann, dass es nicht Wert ist, ausposaunt zu werden. Präziser ist also: Alles WESENTLICHE gehört auf den öffentlichen Platz. Und: Was wesentlich ist, bestimmt nicht primär der Informationsgeber, sondern derjenige, der die Information verlangt.

Die nächste Frage ist, wie Transparenz zweckmäßig zu organisieren ist. Hier kommt transparency ins Spiel. – Diskussion ist erwünscht, wie es auch in unserem Offenen Brief heißt: „Die noch zu wenig bekannten Orientierungen der „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ betrachten wir dabei als DISKUSSIONSWÜRDIG und hilfreich.“ (Großbuchstaben von mir).

„Transparency International e. V.“ (TI) ist ein Dachverband vieler nationaler TI-Abteilungen, hier TI deutsch. Der Verein wird finanziert durch bürgerliche Regierungen und großkapitalistische Unternehmen. TI ist eine Institution, die im modernen Imperialismus existiert und spezifische Funktionen im Klassenkampf erfüllt, eine, die sicher auch von den Geheimdiensten abgeschöpft oder sonstwie genutzt wird, kurz, eine moderne internationale Organisation, wie wir sie täglich kennen und benutzen – Google, Facebook, Twitter, Amazon, ebay, Wikipedia, youtube usw. usf.

Ich versteife mich nicht darauf, unbedingt diese zwielichtigen Einrichtungen zu benutzen. Es soll andere geben (die ich aber nicht kenne). Falls wir uns für andere entscheiden, bleibt dennoch das kleine Problem, dass die Masse der Internetnutzer weiterhin gerade diese US-amerikanischen Monsterunternehmen bevorzugt.

Ich versteife mich auch nicht auf die 10 Kriterien, die in der „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ (ITZ) formuliert sind. Sicher gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Zweifellos aber haben die 10 Punkte den Vorzug, dass sie komplett auf vorhandene Informationen der Vereine zurückgreifen (z. B. Meldepflichten ans Vereinsregister und an die Finanzämter), von den Vereinen also kaum zusätzliche Arbeit verlangen.

Und diese Informationen haben durchaus eine erfreuliche Aussagekraft – freilich nur für die Menschen, die sich die Mühe des Lesens machen. So schaue mensch sich z. B. einmal die Vereinssatzung von „Campact“ genau an. (Die Information übrigens, dass Campact an der ITZ teilnimmt, ist auf der Webseite schwer zu finden – und verletzt damit eine der Regeln von ITZ.) Oder mensch schaue auf die Finanzen und die SpenderInnen von Transparency international Deutschland.

Mensch mag sich über dieses Maß an Offenheit wundern. Ich meine, dass wir hier einen neuartigen offensiven Umgang mit Daten erleben, der diesen Organisationen zweifellos NICHT  schadet. Reichlich Denkfutter!

Erwähnt sei noch, dass recht enge Wechselbeziehungen zwischen TI und CORRECTIV bestehen. Von CORRECTIV – ebenfalls Mitglied bei ITZ – ist ja gegenwärtig im Zusammenhang mit modernen Zensurabsichten (siehe etwa hier) viel die Rede. Mensch sollte die angebotenen Informationen zur Kenntnis nehmen. Die Brost-Stiftung übrigens, Hauptgeldgeber von CORREKTIV, gehört der ITZ NICHT an. Wie dem auch sei: CORREKTIV hat Substanz, zunehmend Substanz, und wird uns noch viel beschäftigen. Hier eine sehr qualifizierte Arbeit eines Journalisten von CORREKTIV.

Können wir uns derartige Offenheit leisten? Wird nicht unsere ganze derzeitige Schwäche sichtbar?

Ich greife noch einmal auf Lenin zurück. Nach dem oben zitierten Satz, geht es so weiter: „Wir brauchen uns nicht davor zu fürchten, die Wahrheit über die Erschöpfung zu sagen, denn welcher Staat ist jetzt nicht erschöpft, welches Volk spricht nicht offen darüber?…  Ist etwa nicht die Erschöpfung die Ursache des Aufstands in der deutschen Flotte, den der Henker Wilhelm und seine Handlanger so schonungslos unterdrückt haben? Wenn solche Erscheinungen in einem so disziplinierten Land wie Deutschland möglich sind; wo man von der Erschöpfung, von der Beendigung des Krieges zu reden anfängt, so brauchen wir keine Scheu davor zu haben, ebenfalls offen davon zu sprechen, denn das ist die Wahrheit,…“

Stalinismus und Umgebung. 1- der „Philosophendampfer“

Dienstag, 20. Dezember 2016 von Webredaktion

Über den Stalinismus und ebenso über den Realsozialismus, zu dem der Stalinismus als ein wesentliches Moment gehörte, ist längst nicht alles gesagt. Im 100. Jahr der Oktoberrevolution und damit in Zeiten, die eine erneuerte sozialistische Perspektive brauchen, möchte ich kleine, konkrete Diskussionsbeiträge leisten. Ich bin nicht „vom Fach“, schreibe nicht als Historiker, sondern als interessierter Laie. Dabei bemühe ich mich Freidenker zu sein.

Der Begriff „Philosophendampfer“ bezieht sich auf die 1922/23 erfolgte Verhaftung und Ausweisung oder Verbannung von bis heute 272 namentlich ermittelten russischen Intellektuellen, unter ihnen viele „alte Philosophen“, deren Transport ins Exil per Schiff erfolgte. Die Aktionen fanden zwischen Juni 1922 und März 1923 statt, angeregt von Felix Dzierschinski, maßgeblich durchgeführt von Stalin, propagandistisch begleitet von Leo Trotzki, ideologisch-strategisch und politisch begründet von Lenin (u. a. in: „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“, Werke Band 33, S 214). Wesentliche Aspekte des Vorgangs hat Wladislaw Hedeler in seiner Broschüre dargestellt „Säuberungen unter dem Banner des Marxismus“, Berlin 2014.

Ich halte es für notwendig, sich den historischen Moment zu vergegenwärtigen. Die Bolschewiki hatten in schier auswegloser Situation einen kühnen Befreiungsschlag geführt – den Übergang zur NÖP. Diesen Schritt konzipiert und durchgesetzt zu haben, ist eine der größten Leistungen Lenins (der im Jahr 1922 zwei Schlaganfälle erlitt). Lenin war sich grundsätzlich der Risiken des eingeschlagenen Weges bewusst. Und er wusste auch, dass die Bolschewiki nicht auf alle Kampffelder ausreichend vorbereitet sein konnten. Der Fortgang der Revolution musste unbedingt gesichert werden. Zur produktiven Auseinandersetzung mit den ideologischen Gegnern oder Feinden fehlten sowohl qualifizierte Kräfte, als auch die Zeit. Administrative und auch physische Gewalt stellten die unbefriedigende aber vorerst einzige Lösung dar.

Der „Philosophendampfer“ symbolisierte nicht eine prinzipielle Abkehr Lenins und der Bolschewiki von dem Prinzip des Überzeugens, der Freiheit der Wissenschaft und von der verstärkten Förderung der materialistisch-dialektischen im besonderen und jeder wissenschaftlichen Forschung und Bildung im allgemeinen. Das ist nachweisbar. Doch ebenso unstrittig sollte sein, dass ein objektives geschichtliches Ereignis geschaffen war – ein Präzedenzfall der Gewalt gegen Andersdenkende. Es gab die (zunächst abstrakte) Möglichkeit, den Fall aus seiner historischen Bedingtheit zu lösen und als Blaupause für Repression zu missbrauchen. Genau das hat Stalin zehn Jahre später in zehnfach brutalerer und schließlich in terroristischer Form getan.

Die weiteren Schicksale der Exilierten gestalteten sich unterschiedlich. Ein Teil von ihnen näherte sich wieder seinem geliebten Russland an, jetzt Sowjetunion. Manche von ihnen gerieten später in die Mühlen der Stalinschen Repression. Mancher, anscheinend nie geistig überwunden, kehrt heute wieder ins Rampenlicht zurück. Allen voran Iwan Alexandrowitsch Iljin (1883-1954), Denker der russischen Religiosität und des russischen monarchischen Patriotismus (ein Leseeindruck hier). In jüngerer Zeit hat sich Putin wiederholt auf Iljin berufen.

Aus dem Zettelkasten* 24.11.2016

Donnerstag, 24. November 2016 von Webredaktion

„Das Jahr 1937 bestimmte die historische Entwicklung der Sowjetunion und der Welt auf Jahrzehnte voraus. Es fügte der UdSSR und der kommunistischen Weltbewegung Verluste zu, von denen sie sich nicht wirklich erholen konnte und die wesentlich zu ihrem Untergang beitrugen.“

(Werner Röhr, „Der Untergang des Bolschewismus als Voraussetzung des Stalinismus. Bemerkungen zu den Analysen von Wadim Rogowin“, in: „Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung“, Nr. 45, März 2001, *Quelle. Das genannte Heft der Zeitschrift – nicht online verfügbar – kann beim Zettelkasteninhaber ausgeliehen werden.)

Bei Freidenkern gefunden… und anderswo… 9/16 

Samstag, 10. September 2016 von Webredaktion

Ich zeige an Wadim Rogowins Werk „Gab es eine Alternative?“.

Wadim Sacharowitsch Rogowin (1937 bis 1998) war ein sowjetisch-russischer Historiker und Soziologe. Sein großes, der Kritik des Stalinismus gewidmetes Werk „Gab es eine Alternative“ untersucht den Zeitraum von 1922 bis 1940 auf insgesamt dreitausend Seiten. Es gliedert sich in die sechs Bände „Trotzkismus“ (1922-1927), „Stalins Kriegskommunismus“ (1928-1933), „Vor dem Großen Terror – Stalins Neo-NÖP“ (1934-1936), „1937 – Jahr des Terrors “ (1937), „Die Partei der Hingerichteten“ (1937-1938) und den weniger geschlossenen Band „Weltrevolution und Weltkrieg“ (1939) über dessen Ausarbeitung der Historiker verstarb. Den geplanten 7. Band „Das Ende ist der Anfang“ (1940) konnte Rogowin, der dem Krebs erlag, nicht mehr schreiben.

Rogowins Werk ist von der Geschichtswissenschaft und mehr noch von den Tageskämpfern der Ideologien weitgehend ignoriert worden. Werner Röhr ist, soweit ich sehe, der einzige ausgewiesene Historiker, der sich explizit geäußert hat. In der „Zeitschrift für marxistische Erneuerung“ Nr. 45 vom März 2001 ist seine Rezension „Der Untergang des Bolschewismus als Voraussetzung des Stalinismus“ zu finden. (Die achtseitige Rezension ist nicht online verfügbar. Ich bin bereit, InteressentInnen einen Scan zu schicken.)

Röhr hebt hervor, dass Rogowins Aufarbeitung der „Großen Säuberung“ der Jahre 1936-1938 in der Sowjetunion, insbesondere der drei grossen Schauprozesse und des Massenterrors, eingebettet ist „in eine gewaltige historische Rekonstruktion der nachrevolutionären Geschichte der Bolschewiki“ und weiter: „Als bisher einziger Historiker dieser Periode bezieht Rogowin den wichtigsten politischen Gegner Stalins in diesen Jahren, Leo Trotzki, systematisch mit ein…“.

Die komplexe, historiografisch-soziologische Forschungsmethode des Autors schlägt sich in einer enormen Beweiskraft seiner Darstellung epochaler Zusammenhänge, Einschätzungen und Schlussfolgerungen nieder. Wir haben es mit einem Meisterwerk der historisch-materialistischen Geschichtsschreibung zu tun, ich möchte behaupten, dem bisher einzigen, das, vor dem Hintergrund der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und diese voraussetzend, die Vernichtung des Bolschewismus und die Durchsetzung des Stalinschen Absolutismus in Begriffe fasst, die marxistisch-wissenschaftlichen Ansprüchen genügen.

Neben dieser gewaltigen, zentralen Leistung besticht Rogowins Werk durch grundsätzliche Hinweise auf weitere, mit der Zentralerkenntnis verbundene, doch weiterführende Erkenntnislinien. Dazu zähle ich (relativ willkürlich ausgewählt) den Spanischen Bürgerkrieg, die Rolle der Komintern, den Deutsch-Sowjetischen Vertrag von 1939 (einschließlich Geheimprotokoll) aber auch Rogowins Bemerkungen zu dem Stalinismus nach Stalin bis hin zum Untergang der Sowjetunion und bis zur nachsowjetischen Gegenwart (der 90er Jahre).

Nicht zuletzt zähle ich dazu Rogowins detaillierte Auseinandersetzung mit der von Stalin erzwungenen „Sozialfaschismuskonzeption“ und ihrer Rolle im Prozess der Machtübertragung an Hitler und der historischen Niederlage der deutschen und internationalen  Arbeiterbewegung.

Ein Werk, wie dieses, das hundert Fragen beantwortet, wirft tausend neue auf. Das kann nicht überraschen. Es ist kein Werk, das man in wenigen Tagen „durch“ hat. Mich hat es seit Wochen buchstäblich „eingesogen“, und ich weiss, dass ich jetzt, gegen Ende der Lektüre, sofort wieder anfangen werde, noch einmal von vorn zu lesen. Das ist kein Mangel. Die Russischen Revolutionen von 1917 werden bald hundert Jahre alt. Denkwürdige Zeit, die uns, wenn wir es wollen, den Quellen wieder näher bringt. Rogowin kann dabei helfen.

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